22. Oktober 2011
Der Bischof als Baumeister: Eichstätt!
Es gibt Wochen im Jahr, da kommen sie in Heerscharen: Städtebauer und Architekturinteressierte aus aller Herren Länder. Das Städtchen, in das es sie zieht, liegt mitten in Bayern und doch weit abseits aller Metropolen …
Was sie hier suchen? Sie staunen! Über etwas, was es nirgendwo sonst auf so kleinem Raum zu sehen gibt: Barockes und Modernes, üppige Pracht und reduzierte Form, Original und Zitat – alles auf wenigen hundert Metern versammelt.
Eichstätt – Bischofsstadt, Barockstadt und Sitz einer Katholischen Universität – gilt als Inbegriff der gelungenen Synthese aus Architekturerbe und unprätentiöser Moderne, als Schauplatz einer einmaligen „Koalition der Stile“. Eine junge, lebendige Stadt wie eine Hommage: an Karljosef Schattner.
Eichstätt ist ein Phänomen: Gerade mal 13.800 Einwohner klein, birgt es einen städtebaulichen Schatz, der einer Großstadt würdig wäre. Es ist der Katholizismus, dem all das zu verdanken ist – denn seit fast 1.300 Jahren bestimmt seine Kirche die Geschicke der Stadt. Um 740 n.Chr. entsteht das erste Kloster. Mit Willibald, einem Missionar aus England, beginnt die bischöfliche Tradition. Er und seine Nachfolger machen Eichstätt zu einer „Hochburg ihres Glaubens“, wofür Eichstätt im Dreijährigen Krieg teuer bezahlen muss. Nach der Eroberung durch brandschatzende Schweden im Februar 1634 ist die Innenstadt verwüstet.
Es dauert ein Jahrhundert, ehe sich Eichstätt davon erholt; dann aber präsentiert sich die Stadt von einer völlig neuen Seite: Barock, repräsentativ und voller Lebensfreude ist der neue Bischofssitz. Am neuen Antlitz schmieden die besten Baumeister ihrer Zeit: die Graubündener Jakob Engel (alias Giacomo Angelini) und Gabriel de Gabrieli sowie der Italiener Maurizio Pedetti, der nach einem abenteuerlichen Leben 1799 in Eichstätt stirbt.
Was die „welschen“ Barockbaumeister im Dienste der Fürstbischöfe errichten, hat Rang; nahezu alle Bauten sind bis heute erhalten. Doch Eichstätt begnügt sich nicht mit der musealen Verwaltung seines Erbes: 1980 wird die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt gegründet – bis heute ist sie, eine konfessionelle Stiftungshochschule, die einzige ihrer Art in Deutschland. Anknüpfen kann man an eine Hochschultradition, die bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht. Die Gründung der neuen Alma Mater beschert Eichstätt – endgültig – einen singulären Status: Jetzt ist man die kleinste Universitätsstadt Europas und hat zugleich den höchsten Anteil von Studiosi an der Einwohnerschaft. Naheliegend, dass sich der Einfluss der Hochschule auch im Stadtbild angemessen widerspiegeln soll.
Die Einlösung dieses Anspruchs macht sich Karljosef Schattner zur Lebensaufgabe. Seit 1957 ist er Diözesanbaumeister: In der feinen Abwägung zwischen Erhalten und Erneuern schafft er bemerkenswerte Neubauten; historische Gebäude lässt er einfühlsam restaurieren. Er weiß um den Wert des Eichstätter Ensembles aus mittelalterlichem Grundriss sowie nahezu vollständig erhaltenen Residenz- und Sakralbauten, deren oberitalienisch barocke Provenienz dem Ort einen unvergleichlichen Zauber gibt.
Unter Schattner gelingt der schnörkellos-moderne „Response“ auf die Hinterlassenschaften der Vergangenheit. Von 1972 an steht er dem Universitätsbauamt vor. Bis zu seinem Ruhestand 1991 prägt er das neue Bild der Stadt: mit eigenen Bauten, aber auch im Zusammenwirken mit anderen Architekten, unter ihnen Günter Behnisch – der „Schöpfer“ des Münchner Olympiageländes. Behnisch entwirft die Zentralbibliothek der Kath. Universität.
Schattners Werkverzeichnis aber füllt Bände: Er plant und baut sakrale Gebäude, projektiert und realisiert Einrichtungen für Büros und Verwaltung, Privathäuser und Wohnheime, das Jura-Museum auf der fernhin grüßenden Willibaldsburg (Heimstatt des „Urvogels“ Archaeopteryx), das Diözesanmuseum, den Ulmer Hof, das Institut für Journalismus an der Kath. Universität und und und.
Ob man das alles auch wirklich sehen muss? Vielleicht „nehmen Sie’s ganz einfach mit“; en passant bei einer Tour durch den Ort haben Sie bei einem gemütlichen Spaziergang alles überblickt. Keinesfalls verpassen Sie auf jeden Fall den Kreuzgang des Eichstätter Dom. Schon „der Dehio“ (die „Bibel“ der deutschen Kunstdenkmäler) huldigt diesem Ort als „glänzende Leistung der Spätgotik“. Aber er hätte wohl seinen Zweck erfüllt, wäre er für Sie einfach nur „wunderschön“ …
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